Menarvis Landschaftsarchitektur Basel
Unsere Grünräume

Rapperswiler Tag 2016 – oder die Kunst, Begegnungen zu schaffen

|   Landschaft und Gesellschaft

Ganz im Sinne des Gartenjahres 2016 nahm sich auch der diesjährige Rapperswiler Tag der Thematik «Raum für Begegnungen» an. Er wollte Mittel und Möglichkeiten aufzeigen, wie mit einer qualitätsvollen Landschaftsarchitektur die Begegnungsmöglichkeit im Alltag gefördert werden kann.

«Ce sont les rencontres avec les gens, qui rendent la vie digne d’être vécu». Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant hat bereits vor rund 150 Jahren erkannt, dass es die Begegnungen mit unseren Mitmenschen sind, die das Leben lebenswert machen. Wenn Begegnungen stattfinden, entsteht Öffentlichkeit und damit eine Belebtheit, die ganz wesentlich dazu beiträgt, dass Freiräume angenehme, lebendige und attraktive Orte sind. „Begegnung ist immer ein Ziel guter Landschaftsarchitektur“ findet Dominik Siegrist, Leiter des Instituts für Freiraum und Landschaft (ILF). Doch was brauchen Quartiere, Parkanlagen oder Wohnumgebungen, damit sie als Begegnungsorte funktionieren? Wie können die Bedürfnisse der verschiedenen Generationen, Kulturen und Nutzergruppen zufriedengestellt werden? Was beeinflusst die Aufenthaltsdauer oder die Intensität der Nutzung? Alles Fragen, welchen der diesjährige Rapperswiler Tag auf den Grund gehen wollte.

Differenz und urbane Qualitäten

Dr. Christian Schmid, Stadtforscher am Departement Architektur der ETH Zürich, machte darauf aufmerksam, dass die beiden Begriffe «Urbanisierung» und «Urbanität» auseinander zu halten seien. Ersterer beschreibe einen Prozess, der bereits alle Orte der Erde erfasst habe. Auch die Weltmeere, weil sie zu grossen Lagerflächen und wichtigen Transitachsen geworden sind. Die ländliche Schweiz sieht Schmid bereits als abgeschafft und vollständig urbanisiert! Das Potential der Urbanisierung erkennt der Titularprofessor für Soziologie in der „Differenz“. Urbane Orte seien Orte, wo Differenzen zusammenkommen. Mit anderen Worten: die Ausbreitung städtischer Lebensformen bringe Menschen zusammen und lasse viele verschiedene Dinge aufeinander treffen. Dadurch entsteht etwas Neues. Dieser Prozess (der Begegnung) ist der Kern der urbanen Idee. Um die urbanen Qualitäten verschiedener Orte zu umschreiben, nannte der Referent verschiedene Attribute. Hier scheinen vor allem die Begriffe der „Zugänglichkeit“, der „Benutzbarkeit“ und „Veränderbarkeit“ von Räumen für die Intensität von Begegnungen von zentraler Bedeutung zu sein.

Damit Begegnung funktioniert

„Begegnungsräume sind nichts Starres und Eindeutiges“, weiss Colette Peter, Vizedirektorin der Hochschule Luzern. Sie zeigte dem Publikum die sozialräumliche Dimension in der Freiraumplanung auf. Dafür brauche es die Erkenntnis, dass ein Begegnungsraum keine auf gebauten Elementen beruhende Tatsache darstelle! „Räumlich gestalterische Elemente können Begegnungen unterstützen, aber nicht garantieren“, meinte Peter. Vielmehr sei ein funktionierender Begegnungsraum ein geglücktes Zusammenspiel von drei Faktoren:

  1. Die Interaktion, ausgelöst durch alltägliche Handlungen wie bspw. Blickkontakte.
  2. Die gesellschaftlichen und historischen Zuschreibungen eines Ortes durch seine Geschichte, die Erinnerungen aufleben lässt.
  3. Die architektonische Dimension, durch eine gute Gestaltung.

Peter wies darauf hin, dass die konkrete Gestaltung oft überbewertet werde. Die Atmosphäre sei für die Nutzenden entscheidender, prägt sie doch das Erleben von Begegnungsräumen.

„Es kann sein, dass eine der drei erwähnten Komponenten hervorsticht und die anderen zwei in den Schatten stellt. Ein unwirtlicher Raum unter einer Autobahnbrücke kann für junge Menschen durchaus attraktiver sein als ein aufwendig sanierter und begrünter Platz“, erklärt die Soziologin. In diesem Fall ist die kollektiv verankerte Geschichte des Ortes, kombiniert mit nützlichen Ausstattungen, wichtiger als das stimmige Gesamtkonzept. Für eine sozialräumlich orientierte Planung sei deshalb nicht nur ein dynamisches Raumverständnis Voraussetzung. Mitwirkungs- und Aushandlungsprozesse trügen viel dazu bei, dass die Vorstellungen der Nutzenden und nicht nur jene der Planenden, Eingang in die Freiraumplanung fänden. Mit offenen Planungsprozessen in interdisziplinären Teams könnten schliesslich noch andere Vorstellungen integriert werden.

Landschaftsarchitektur als Weltsprache

Beide Referenten waren sich einig, dass die Freiraumplanung eine grössere soziale Rolle spielen kann, als gedacht. Martha Fajardo, Landschaftsarchitektin aus Kolumbien, sieht Landschaftsarchitektur als verbindende Sprache zwischen den Kulturen. Grünräume schaffen, um Menschen zusammen zu bringen, sieht sie insbesondere für ihr krisengeschütteltes Südamerika als Möglichkeit, Konflikte zu lösen. Das Zusammenkommen von Natur, Gesellschaft und menschlichen Bedürfnissen, liessen Stolz und Fröhlichkeit entstehen, welche Angst und Misstrauensgefühle vertrieben.

Auch Leonard Grosch vom Atelier LOIDL aus Berlin betrachtet Freiräume als leistungsfähiges und günstiges Mittel, um das Zusammenleben zu fördern. Am Beispiel des Berliner Parks am Gleisdreieck erläutert er die fünf wichtigsten Strategien, um lebendige Orte zu schaffen.

„An erster Stelle steht der «Ort» selbst und das Bedürfnis nach Geschichte; an ihr Weiterbauen fördert die Akzeptanz“, erklärt Grosch. Auf dem zweiten Rang sieht der Landschaftsarchitekt das «Gerüst» einer Anlage. Eine starke Struktur verleihe Halt und Orientierung, wonach sich Menschen sehnten. Als Beispiel nannte er gestalterische Inszenierungen die Dramaturgie böten. Eine Anlage sollte auch ein «Programm» aufweisen. Durch gut verortete und auf bestimmte Bereiche konzentrierte Hot Spots erreiche man an einem Ort eine wirkliche Lebendigkeit, am anderen dafür Ruhe und Natürlichkeit. Zu solchen Hot Spots zählte Grosch Picknick- oder Spielplatzbereiche, Cafés, etc. Durch Mehrfachkodierung könnten diese Räume zusätzliche Funktionen übernehmen. Unter «Programm» oder einfach ausgedrückt „Mitmachen erwünscht“, versteht der Landschaftsarchitekt die eigenen Projekte der Nutzenden. So förderten Schulprojekte, kleine Kuchenrestaurants oder Wandbesprayungen die Identifikation mit dem Ort. Nicht zu vergessen sei das «Grosse Kino». Lichtungen, klassische Rasenflächen, Brücken über einem belebten Teich oder Wellenarenas böten eine Bühne für das Sehen und Gesehen werden.

Begegnungen in Lausanne und Budapest

Um der Verdichtung der Stadt in ungebremstem Wachstum zu begegnen, als Antwort auf das Verlangen vieler Städter nach einem Bezug zur Erde aber auch als Zeichen gegen die gestalterische Armut von Stadtgärten, entstanden 1996 in Lausanne die «plantages». Wie Yves Lachavanne vom service des parc et domaines erklärt, sind sie nicht nur gemeinschaftliche städtische Gemüsegärten, sondern Lebens- und Begegnungsorte, die die Stadt verschönern. In unmittelbarer Nähe zum Wohnort gelegen, fördern die 6 bis 48 m2 grossen Freiflächen durch die nachbarschaftliche Zusammenarbeit das Zugehörigkeitsgefühl und die sozialen Bindungen zum direkten Lebensumfeld.

Da ungezwungene Begegnungen im öffentlichen Raum in der kommunistischen Ära Ungarns, aber auch weit danach, in keiner Form unterstützt wurden, entstanden kaum Parkanlagen. Die Menschen bewegten sich sehr förmlich in sehr städtischen Situationen. Dominika Tihanyi, Landschaftsarchitektin aus Budapest, zeigte wie sie mit gestalterischen Kleinaktionen im urbanen Raum Begegnungen fördert. „Asphaltpainting, Plakate an Hauswänden, die Geschichten erzählten oder ein riesiger, aufgeklebter Stadtplan am Boden der Metro ermutigen Menschen in Kontakt miteinander zu treten. Das fördert eine offene und kooperative Gesellschaft, welche an der Gestaltung ihrer Umgebung und ihrer Zukunft teilnimmt.

BIGNIK – ein Kunstprojekt begegnungsreicher Art

Erfrischend, weil rhetorisch packend vorgetragen und brillant auf das Thema der Tagung fokussiert, waren die Ausführungen der Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben, welche die Idee und das Konzept zu BIGNIK hatten. Dieses Kunstprojekt zeigt auf einfache, unwissenschaftliche und unintellektuelle Art auf, wie Begegnung entsteht, was Begegnung sein kann und was sie auszulösen vermag, wenn gewohnte Denk- und Handlungsmuster aufgebrochen werden.

BIGNIK (www.bignik.ch) will gemeinsam ein riesiges Picknick-Tuch für die ganze Bevölkerung erschaffen, das so gross ist wie 100 Fussballfelder. Es soll aus 252‘144 Tüchern bestehen, exakt so viele, wie die Einwohnerzahl der Region Appenzell AR – St. Gallen - Bodensee beträgt. „Mit dieser künstlerischen Intervention wollen wir das klassische Picknick neu interpretieren und eine einzigartige, gemeinschaftliche Tradition für die Region kreieren; eine Plattform für Begegnungen und Geschichten“, erklären die Zwillingsbrüder begeistert. Ziel ist, dass das BIGNIK-Tuch jährlich weiterwächst und jeweils im Frühsommer öffentlich zum Picknick eingeladen wird. Bis 2027 sollen 50% der geplanten Fläche erreicht sein. Mit der Fertigstellung und Erfüllung der BIGNIK-Vision sei voraussichtlich im Jahr 2043 zu rechnen!

Drei Schritte braucht es zum BIGNIK und jeder trägt auf unübliche Art zu Begegnungen bei. Mit einem knarrenden, von weit her hörbaren, aber sympathisch wirkenden Rapid Traktor, ging es auf Tücher-Sammlung. Für eine erfolgreiche Begegnung laute dabei die richtige Fragestellung nicht etwa: „Haben Sie alte Tücher zum Vergeben?“ sondern: „Nicht wahr, Sie haben keine alten Tücher zum Vergeben?“ Doch, doch..! sei die Antwort und man werde zur intensiven gemeinsamen Suche in den Estrich oder Keller begleitet.

„Das Nähen macht unter Menschen mehr Spass, vor allem, wenn es an einer Autobahneinfahrt oder mitten im Bahnhof St. Gallen stattfindet“, meint Riklin zum zweiten Schritt. Es entstand eine tolle Stimmung unter Menschen verschiedenster Couleur, die sich spontan und unaufgefordert zum Nähen engagierten. Je weniger Partizipation in einem Projekt eingeplant werde, umso mehr entstehe sie. Die Lust erwache, je weniger man darüber spreche.

Nun folgt das Auslegen der Tücher zu einem einzigen Riesentuch. Auf der grünen, weiten Wiese begegnen sich die Menschen erneut und schaffen ein gemeinsames Werk. BIGNIK verbindet und lässt Geschichten entstehen, an die man sich immer wieder gerne erinnert.