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Erstes naturnahes Wohnareal der Schweiz zertifiziert

|   Landschaft und Gesellschaft

Die Stiftung Natur & Wirtschaft zertifizierte die erste naturnahe Wohnsiedlung der Schweiz. An der Medienkonferenz referierten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft über die Bedeutung von Natur vor der Haustüre.

Bund, Wirtschaft und private Institutionen starten ein neues Vorhaben für mehr einheimisches Grün im Wohnumfeld. Damit betreut ist die Stiftung Natur & Wirtschaft. Mit ihrem Projekt «Natur & Wohnen» will sie bis 2020 Hunderte von Bauherren, privaten und institutionellen Immobilienbesitzer ermuntern, ihre Wohnüberbauungen ökologisch zu entwickeln. Sobald die Überbauung die Grösse von 15 Wohneinheiten erreicht, mindestens 40% der Umgebungsflächen naturnah angelegt und maximal 30% versiegelt sind, kann sie durch die Stiftung zertifiziert werden.

Nationalratspräsident Ruedi Lustenberger - gleichzeitig Präsident der Stiftung Natur & Wirtschaft - gab am 21.05.2014 in Allschwil BL den Startschuss, indem er erstmals eine vorbildliche Wohnsiedlung auszeichnete. Der Aussenraum der Wohnüberbauung PIC 3 wurde von müller und schmidt landschaftsarchitektur gmbh gestaltet und durch die Jos. Schneider AG Garten- und Landschaftsbau erstellt. 

Kinder brauchen Grün

„Die Landschaft in der wir leben, gehört zu uns wie Vater und Mutter.“ Mit diesem Zitat vom Kunstmaler Ferdinant Hodler sprach Ruedi Lustenberger an, was massgeblich dazu beiträgt, welche Wertvorstellungen im Kind heranwachsen. In dieser Hinsicht seien Kinder auf der Landschaft privilegiert, denn im Entlebuech beispielsweise, von wo er selbst stamme, ist Natur allgegenwärtig. Kinder sehen Rehe, hören Vögel, kennen Blumen. Dabei wolle er nicht das Leben auf dem Land verherrlichen. Vielmehr sei ihm wichtig, dass die Menschen auf den Wandel aufmerksam gemacht würden, der das Gesicht der Kindheit verändert hat. „70% der Schweizer Bevölkerung wohnt in der Agglomeration. Hier ist das Leben in Bezug auf die Nähe zur Natur anders als auf dem Land“, meint Lustenberger.

Hinzu komme ein neues Phänomen. Der Siegeszug der iPhones führe dazu, dass ¾ der Jugendlichen mehrere Stunden am Tag in einer virtuellen Welt verbringen. Überbehütende Eltern fahren ihre Kinder zur Schule und zum Sport. Dadurch kommen Kinder immer weniger mit ihrer Umgebung in Kontakt. Statistiken würden belegen, dass innerhalb einer Generation der Aktionsradius von Kindern um 70% abgenommen hat.

„Diese Veränderung ist radikal und wird von vielen und starken Kräften in grossem Tempo vorangetrieben“, warnt der Nationalratspräsident. Damit Kinder lernen, dass nicht nur Softwareprogramme, sondern das Leben selbst voller wundersamer Veränderungen ist, brauchen sie den Zugang zur Natur. „Mit solchen Wohnsiedlungen wollen wir, dass Kinder miterleben, wie eine Kaulquappe sich zum Frosch verwandelt und wie und wo ein richtiger Apfel heranwächst, ohne dass wir gegen Apple antreten“, schliesst Lustenberger sein Referat.

Hochwertige Räume für Biodiversität in Siedlungen

In der Schweiz ist es um die Biodiversität schlecht bestellt. Diesbezüglich stellt die starke Zerstückelung der Landschaft die grösste Bedrohung dar. Für Evelyne Marendaz Guignet vom Bundesamt für Umwelt BAFU erhöht aber die Biodiversität im Siedlungsraum eindeutig die Lebensqualität. Wenn Städte und Gemeinden das brachliegende Potential, welches sich ihnen an Bahnarealen, Fassaden, Dächern, Mauern und Dorfbächen eröffnet, besser nutzten, könne der Mensch die Natur wieder vermehrt vor der eigenen Haustüre erleben. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Biodiversität für die Gesundheit, die Entspannung und Erholung der Stadtbewohner einen wichtigen Beitrag leiste. Dass sie ebenfalls ein wichtiger Faktor in der Regulierung des städtischen Mikroklimas darstellt, ist eher bekannt.

Bis heute ist es in der Schweiz nicht gelungen, den wachsenden Druck auf natürliche Lebensräume und ökologisch wertvolle Flächen zu bremsen“, beklagte die Referentin. Kein Wunder vertritt sie die Ansicht, dass die Herausforderung darin bestehe, raumplanerische Instrumente auszuarbeiten, welche eine Entwicklung der Siedlungsräume nach Innen ermöglicht sowie die (vorhandene) Biodiversität fördert. Dabei zeigt sie sich konsequent, wenn sie für Bauzonen verbindliche Grün- und Freiflächenanteile im Nutzungsplan verlangt.

Investieren in Wohnimmobilien und Natur

Natur- und Kulturwerte über Generationen zu erhalten, ist ihm ein grosses Anliegen. Für Jost Schumacher, Spross einer Luzerner Patrizierfamilie und einer der grössten privaten Immobilienbesitzer der Schweiz, ist Immobilien und Natur kein Widerspruch. Die Schumachers kauften, bewirtschafteten, hegten und pflegten seit Jahrhunderten Ländereien und Liegenschaften. So ist es kein Zufall, dass die Schweizerische Umweltstiftung mit ihm als Präsidenten sich für das Projekt «naturnahes Wohnen» finanziell und personell engagieren.

„Bis 2020 wollen wir eine Verdoppelung der Naturfläche innerhalb des Siedlungsraumes“, zeigt sich Schumacher selbstsicher. Er ortet die grössten Potentiale bei Neubauten und Sanierungen grösserer Wohnsiedlungen, bei Grünflächen der öffentlichen Hand, bei naturnahen Flachdachbegrünungen und in Einfamilienhausgärten. Erfolg könne diese Strategie jedoch nur haben, wenn Gemeinden als Vorbilder vorangehen, wenn konkrete gesetzliche Bestimmungen bestehen, die Aus- und Weiterbildung stimmen und wenn mehr Akzeptanz bei den Bewohnern vorliegen würde. „Nur wenn Naturgärten sowohl ästhetische, wie auch soziale Bedürfnisse befriedigen, werden sie akzeptiert. Ein zeitgemässer Naturgarten ist deshalb ein gut gestalteter und durchdachter Garten“, führt der Referent aus.

Unerschrocken setzt er den Finger auf den wunden Punkt und erkennt, dass viele Architekten für Umgebungsgestaltung nicht viel übrig haben. „Sie zeichnen ein paar Bäume und hinterlegen die Grünflächen mit der Farbe Grün. Ein Landschaftsarchitekt werde meist nicht beigezogen“, kritisiert der Redner. Der Gärtner könne dann am Schluss mit minimalem Budget für ein bisschen Grün sorgen.

Eine naturnahe Umgebung brauche aber eine solide Planung. Diese verursache zwar Kosten, in der Gesamtbausumme sei sie jedoch marginal. Bei naturnahen Flächen könne dafür im Unterhalt gespart werden und letztendlich erhöhe die Schönheit eines Aussenraumes, welcher als Teil der Landschaft in der man wohnt, wahrgenommen werde die Wohnqualität messbar und führe zu höheren Mieten. Deshalb lohne sich der Gang zum Landschaftsarchitekten auch für Investoren.

Generation M(igros)

Die Migros-Pensionskasse - als Eigentümerin der Überbauung PIC, Allschwil - ist stolz dass sie von der Stiftung Natur & Wirtschaft das erste Zertifikat für naturnahes Wohnen erhalten hat. Zwar verpflichtet der Quartierplan zur Nachhaltigkeit des neuen Quartiers und zur Aufrechterhaltung des angrenzenden Naturschutzgebietes. Doch bei der Migros-Pensionskasse werden die Immobilien ohnehin nicht spekulativ gehalten. Sie verspricht gar ihre naturnahen Wohn- und Firmenareale von heute 700‘000 m2 bis 2015 auf 2.5 Millionen m2 zu vervielfachen und einige davon ebenfalls zertifizieren zu lassen.

Wenn wie in der Wohnsiedlung PIC in Allschwil bewusst Weiher, Amphibienstrassen und Magerwiesen angelegt werden und das entstehende Heu dem Bauer in der Nähe zur Fütterung seiner Tiere übergeben wird, dann ist das ein Lichtblick für die kommende Generation und ein weiterer Meilenstein im Marketing für Bio-„Produkte“ der Migros – eine klare Win-Win-Situation!