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Iris sibirica, Königin der Reussebene

|   Landschaft und Gesellschaft

Das Reusstal beherbergt den schweizweit grössten Bestand der Sibirischen Schwertlilie. Diese grazile Pflanze charakterisiert wechselfeuchte Pfeifengraswiesen, einer der artenreichsten Lebensräume in Mitteleuropa. Mitte Mai lud die Stiftung Reusstal zu einer Veloexkursion ein.

Die Reusslandschaft im aargauisch- zürcherisch-zugerischen Grenzgebiet zwischen Sins AG und Windisch AG gehört zu den vielfältigsten, zusammenhängenden und naturnahen Flusslandschaften des Schweizerischen Mittellandes. Mit ihrer Fülle an fliessenden und stehenden Gewässern sowie Altarmen ist sie seit 1977 im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN 1305) eingetragen. Als schweizerische Schwerpunktlandschaft für Feuchtgebiete bietet sie einen einzigartigen Lebensraum für gefährdete Pflanzen- und Tierarten. Vor allem zwischen Maschwanden ZH und Hermetschwil AG ist das parkartige Reusstal ein Juwel. Es beherbergt nicht nur Auenwälder und Amphibien-Laichgebiete sondern am Flachsee auch ein Wasser- und Zugvogelreservat sowie grosszügige Riedwiesen.

Durch geschickte Politik wurden in den letzten Jahrzehnten etwa 300 Hektaren landwirtschaftlich intensiv genutztes Land abgemagert und als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Der ökologische Erfolg lässt sich sehen und hören: Der Begrüssung von Joseph Fischer, Biologe und Geschäftsleiter der Stiftung Reusstal gesellte sich der zirpende Gesang des Feldschwirrels hinzu – einer ersehnten, neuen Vogelart der Feuchtgebiete.

Besondere Morphologie

Die Sibirische Schwertlilie ist eine Pflanzenart aus der Familie der Schwertliliengewächse (Iridacea). Sie bildet kräftige Rhizome aus, die sich im Alter stark verzweigen. Am Ende der Vegetationsperiode sterben alle oberirdischen Pflanzenteile ab. Die verdorrten Stängel mit den kapselartigen Fruchtständen bleiben aber bis weit in die nächste Vegetationszeit stehen.

Der Aufbau der Blüten ist speziell. Sie besteht aus drei funktionsfähigen Teilblüten mit je einem separaten Eingang für kräftige, langrüsselige Insekten. Meist landen grosse Hummel auf den Hängeblättern, angelockt von prächtigen Farben. Alternierend zu diesem äusseren Blütenblattkreis sind die inneren Blütenhüllblätter als Domblätter angeordnet. Auch die Griffel sind petaloid, d.h. kronblattartig ausgestaltet. Damit im Herbst eine Fruchtkapsel entsteht, müssen Insekten alle drei Teilblüten besucht habe. So ist auch eine genetische Vielfalt gewährleistet.

Auswirkungen veränderter Wasserverhältnisse

Iris sibirica mag weder zu wenig Wasser, noch einen ständig zu hohen Wasserstand. Fischer zeigte auf, welche Auswirkungen der Bau des Kraftwerkes Zufikon / Bremgarten AG um 1975 auf die Flora hatte. Wurden im Gebiet der «Stillen Reuss» 1969 noch 37‘000 Blütenstände ausgezählt, sank dieser Wert bis 1981 kontinuierlich auf nur noch 3‘500 Blütenstände ab. Grund waren veränderte Wasserverhältnisse. Offenbar hat der Reussgrund nicht nach Erwarten kolmatiert, das heisst, der Prozess der Verringerung der Durchlässigkeit des Bodengerüstes ist nicht eingetreten. So habe Infiltrationswasser, das unter die Reussdämme drückte, das Gebiet übernässt, wusste der Biologe zu berichten. Davon hat der Schilfbestand (Phragmites australis) profitiert. Auch der süsslich duftende aber hoch giftige Wasserschierling hat sich als Nutzniesser veränderter Standortbedingungen etabliert. Mit Cicuta virosa wurde in der Antike der «Schierlingsbescher» zubereitet, ein Getränk das im 5. und 4. Jhd. v. Chr. im antiken Athen bei Hinrichtungen Verwendung fand.

Typische Pfeifengraswiesen

Bewegt sich der Grundwasserspiegel im Frühling nah an der Oberfläche und sinkt im Sommer ab, findet Iris sibirica auf mageren Böden ihren typischen Standort. Bei solch optimalen Bedingungen entwickelt sich die Streuwiese zu einem artenreichen Lebensraum aus Spezialisten und Spezialitäten. Zeigen sich die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) und das namensgebende Pfeifengras (Molinia caerulea) als weitere Leitarten im Verbund mit der Blauen Schwertlilie, deuten diese auf einen wechselfeuchten Lebensraum hin. «Böden wechselfeuchter Pfeifengraswiesen fühlen sich im Sommer nicht sumpfig an», meinte Fischer und gab so den Teilnehmenden ein weiteres Erkennungsmerkmal mit. Bei den Orchideen blühten die Helmorchis (Orchis militaris) und das Kleine Knabenkraut (Orchis moris) aber auch der Teufelsabbiss (Succisa pratensis), das Schopfige Milchkraut (Glaux maritima) und das Gelbe Labkraut (Gallium verum) waren zu sehen. Unter den Farngewächsen besiedelt die Gemeine Natternzunge (Ophioglossum vulgatum) die Pfeifengraswiese und unter den Gräsern zeigt die Langgliederige Segge (Carex distans) eine erfolgreiche Abmagerung an. Die in der Ferne gut erkennbaren Bestände an Kukuks-Lichtnelken (Lychnis flos-cuculi) deuteten hingegen auf nährstoffreichere und feuchtere Standorte hin. Auch die Gelbe Schwertlilie (Iris pseudacorus) ist prominent auf eher nassen Böden im Röhricht anzutreffen.

Ein sensibler Lebensraum

Pfeifengraswiesen wollen gepflegt werden. Sie sind darauf angewiesen, dass ein Mal jährlich, jeweils im Spätherbst die Mahd erfolgt. Dabei werden streifenweise Bereiche stehen gelassen. Diese ökologischen Brachen dienen als Fluchtorte für Tiere während den Wintermonaten. Sinkt in einer Region die Fläche der Streuwiesen auf 1.5 Hektaren, so erodiert auch der Bestand an Iris sibirica. Die Stiftung Reusstal steht diesbezüglich in einer komfortablen Position, verfügt sie doch über grossflächige ökologische Trittsteine in den Kantonen Zürich, Zug und Aargau, die miteinander «kommunizieren». Gefahren lauern aber nicht nur in der mangelnden Pflege, sondern auch in der Überdüngung und der Verschilfung. Da Pfeifengraswiesen gemäss Statistiken zu den sensiblen Lebensräumen gehören, ist dem Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft besondere Beachtung zu schenken. Die Flachmoorverordnung verpflichtet die Kantone zwischen intensiven und extensiven Bereichen anhand eines Schlüssels ausreichende Nährstoffpuffer-Zonen auszuscheiden. Die Norm bewegt sich zwischen 20-25 m und der Landwirt wird dafür entschädigt. Jeder, auch unbeabsichtigte Kunstdüngereintrag, bspw. beim Wenden der Maschinen entlang von Flurwegen, habe fatale Folgen auf die Vegetation. Innert Kürze spriesse wieder der Hahnenfuss und bis wenig durchlässige Böden wieder mager und artenreich würden, könnten Jahrzehnte vergehen, mahnte der Biologe. Dabei sei zu beachten, dass ein Stickstoffeintrag auch auf natürliche Weise durch Laubwurf und Regen erfolge.

Büffel-Mozzarella aus dem Feuchtgebiet

Der Wasserbüffel sei ein guter Pfleger gegen die Verschilfung, meinte Fischer stolz. Tatsächlich eignet sich diese Rinderrasse vorzüglich für die Beweidung von Feuchtgebieten, da sie gezielt das harte Schilf und die zähen Sauergräser frisst. Die dadurch gesteigerte Strukturvielfalt mit einem Mosaik an wenig bis stark abgefressenen Bereichen und neuen Tümpeln durch Tritt- und Suhlstellen sind ein ebenso willkommenes Nebenprodukt, wie der Büffel-Mozzarella, der vom Käser im nahen Muri AG hergestellt wird. Die extensive Bewirtschaftung durch diese äusserst anhängliche und friedliebende Tierart bringt auch für viele Kleintiere mehr Schonung als einmaliges, vollständiges Mähen.