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Alleenlandschaft des Val-de Ruz (NE) ausgezeichnet

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Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL-FP) ernennt seit 2011 jedes Jahr eine Landschaft des Jahres. Der diesjährige Preis wurde Mitte Mai in Cernier (NE) an das Val-de-Ruz, einem Hochtal über dem Neuenburgersee, für ihre charakteristischen Allen- und Baumreihen vergeben. Damit wurden auch die langjährigen und gemeinsamen Anstrengungen für deren Wiederherstellung und Erhalt ausgezeichnet.

Die Kornkammer des Kantons Neuenburg ist ein farbiges und geradliniges Mosaik aus Äckern, Wiesen und Weiden. Doch das künstliche Erscheinungsbild landwirtschaftlich aneinander gereihter Parzellen wird von Alleen- und Baumreihen strukturiert, die in vielen Fällen, gar dem Verlauf von historischen Verkehrswegen folgen. Rund ein Viertel davon besteht aus prächtigen Birnbäumen.

Als Stiftungspräsident freute sich Kurt Fluri den Preis für die Landschaft des Jahres der Gemeinde Val-de Ruz, dem Parc Chasseral und dem Verein Ecoréseau et Paysage du Val-de-Ruz zu verleihen und damit eine Region zu prämieren, die sich gegen das Verschwinden der Alleen mit Erfolg wehrt.

Langjähriges Engagement

Eigentlich sei die Schweiz kein Alleenland wie Frankreich und Deutschland, dafür fehlten fürstliche Bauten und Prachtstrassen, führte Fluri in seiner Begrüssungsrede aus. Anders sei dies in den Kantonen Neuenburg, Solothurn und Bern wo im 18. Jhd. in preussischer Tradition markante Alleenstrassen gebaut wurden. Im Wallis säumten Pappeln die Heeresstrassen Napoleons und im Val-de-Ruz kämpften die Behörden mit Birnbaumallen gegen den Absinth-Rausch. So habe jede Allee seine gesellschaftlich-politische Bedeutung.

Bereits 2007 habe sich das Val-de-Ruz nach einer Bestandsaufnahme mit einer gezielten Förderung seiner Alleen hervorgetan. Damals ermöglichte ein gemeinschaftliches Projekt zwischen dem SL-FP, dem Ecorésau Val-de-Ruz in Partnerschaft mit dem Tiefbauamt mehrere Alleen zu erneuern, wobei in den folgenden 15 Jahren der Handlungs-schwerpunkt auf die Verjüngung der Baumalleen gelegt wurde, dies in enger Zusammenarbeit mit dem Parc Chasseral.

Besonders bemerkenswert sei, dass die Gemeinde jüngst beschlossen habe, die Alleen und Baumreihen mit einer Gesamtlänge von über 35 Kilometern im Rahmen der Revision der Ortsplanung zu integrieren. Der Stiftungspräsident freute sich über die Absichten der Gemeinde Val-de-Ruz, um die langfristige Erhaltung und Neuanpflanzungen von Alleen und Baumreihen sicherzustellen. Ihnen wird gar ein Schutzstatus zuerkannt. Im Falle einer Fällung muss jeder Baum ersetzt werden. Auch die Verbesserung der Sicherheit und die Information der Öffentlichkeit über den Wert des Kulturerbes Alleen gehörten zu den Zielen.

Gründe für die Auszeichnung

Für den Stiftungsrat der SL–FP seien die Gründe für die Verleihung des Preises als Landschaft des Jahres 2022 offensichtlich. Zum einen machten die Anzahl und die Bedeutung der Allen und Baumreihen das Val-de-Ruz zu einer einzigartigen Landschaft und zu einem Vorzeigeobjekt, für das, was man als Alleenlandschaft bezeichnen könne. Zum andern sei das 2007 gestartete Programm zur Anpflanzung und Verjüngung der Alleen eines der grössten in der Schweiz, in der Umsetzung äusserst innovativ und durch die Integration in die Ortsplanungsrevision sowie des zugesicherten Schutzstatus der Einzelobjekte garantiert nachhaltig. Ebenfalls beteiligten sich am Projekt verschiedenste Akteure auf allen Ebenen.

Vom Apfelwein zum heiligen Auto

Damals als gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Val-de-Ruz der Verkehr zu Fuss und zu Pferd abgewickelt wurde, schätzte man die Vorzüge der Alleen. Im Sommer spendeten die Baumkronen den Reisenden Schatten. Im Winter bei Schnee und Nebel und nachts mit bescheidener Laterne markierten Alleen den Strassenverlauf und waren eine wertvolle Orientierungshilfe. Zudem diente jeder Baum dazu, die Knappheit an Bau- und Brennholz zu bekämpfen. Alain Lugon vom Bureau l’Azuré schilderte die bewegte Geschichte der Alleen im Val-de-Ruz, wo die Bevölkerung im 19. Jhd. unter starkem Alkoholkonsum litt. Deshalb schlug Charles-Alfred Petitpierre-Steiger 1873 den Abgeordneten des Neuenburger Grossen Rates vor, die damals vorherrschende Bepflanzung aus Pappeln, Linden, Ahornen und Eschen mit Obstbäumen zu ersetzen. Man wollte der Bevölkerung mit dem Apfelwein (Cidre) «une boisson saine», ein gesundes Getränk, anbieten. Da sich die gewählten Apfel- und Birnbaumsorten schlecht destillieren liessen, erwies sich diese Idee als durchaus pragmatischer Ansatz zur Bekämpfung des Alkoholismus.

Ab dem 20. Jhd. bemerkten findige Landwirte, dass die Wurzeln der Bäume die Drainagerohre verstopften, andere beklagten den Schatten der Baumkronen und forderten die Fällung. Doch vor allem waren es waghalsige Autofahrer, die eine Gefahr für die Strassensicherheit sahen. Ab 1930 nahm der motorisierte Verkehr stark zu. Die Bauingenieure interessierten sich in erster Linie für den Verlauf, das Profil und die Breite der Strasse. Im Zuge dessen wurden die Alleen stark dezimiert, oft auf einer Seite komplett gefällt, bis anfangs des 21. Jahrhunderts ein paar wenige, couragierte Personen deren Zerfall aufhalten wollten.

Aufweitung von Alleen – eine Scheinlösung

Eine Allee ist per Definition eine Strassenanlage, die beidseitig von Bäumen gesäumt wird, stehen diese hingegen nur einseitig, spricht man von Baumreihen, wusste Hans-Peter Kistler vom ASTRA. Alleen unterstützen Wege in der dritten Dimension. Bedeutend sei nicht die Baumart, sondern der Kontext und ihre Lesbarkeit in der Landschaft. Auch die Anordnung in regelmässigen Abständen, die Wuchsform sowie das Alter der Bäume spielten eine grosse Rolle für ihre Attraktivität, für das Raumempfinden mit Tiefenwirkung und das vermittelnde Gefühl der Geborgenheit für Langsamverkehrende. «Alleen sind keine geometrischen Bauten, Strassenränder- und oberflächen müssen unregelmässig geformt werden», betonte Kistler. Auf die Achtsamkeit dieser kleinen Dinge komme es an, um zu erkennen, wie mit Alleen umzugehen ist. Eine Aufweitung von Alleen, wie dies im Rahmen von Strassenausbauprojekten vorgenommen werde, sei eine Scheinlösung, da die Wirkung von Alleen so zerstört werde.

André Stapfer wies auf die bedrohliche Situation der Biodiversität hin. Pro Quadratmeter würden in der Schweiz zu viele Nutzungen angesiedelt. Deshalb habe der Bundesrat die Strategie Biodiversität verabschiedet, bei der es darum gehe, bis 2040 eine Ökologische Infrastruktur analog der grauen Verkehrsinfrastruktur aufzubauen. Er vertrat die Ansicht, Alleen gehörten auch dazu. Die Zeit dränge, denn bis 2024 müssten die Kantone ihre Planung beenden und entscheiden, welche Elemente ins Inventar der Ökologischen Infrastruktur aufgenommen würden.

Bravo und Glückwunsch für das erfolgreiche Engagement

Feinfühlig und voller Poesie, mit vielen Bezügen zur Kunst zeichnete Bernard Soguel in seiner Dankesrede die intime Beziehung zwischen Tourismus und Landschaft. Diese sei mit folgendem Zitat von Henri Stendhal im 19. Jhd. treffend illustriert: «Ich habe mit erlesener Sensibilität den Anblick schöner Landschaften gesucht. Nur aus diesem Grund bin ich gereist.» Der Präsident des Tourismus Vereins Neuenburg unterstrich die Bedeutung des Wohlbefindens. Denn was Touristen und die Bevölkerung an einer Landschaft gleichermassen anziehe, sei das Wohlbefinden das sie biete und ihre kulturelle Dimension. Ohne diese Bewunderung kehrten Besuchende nicht mehr zurück.

 

«Um die volle Bedeutung von Landschaft zu verstehen, wende man sich an die Künstler – diese empfindsamen Betrachter.»

Bernard Soguel, Präsident Tourismus Neuenburg, 14.05.2022

 

Soguel verdeutlichte seine Aussage mit der «Montagne St. Victoire». Der Maler Paul Cézanne hat diesen Berg 87 Mal gemalt und machte ihn zum identitätsstiftenden Wahrzeichen für die gesamte Region Aix-en-Provence. Die Auszeichnung des Val-de-Ruz als Alleenlandschaft werde wohl die Logiernächte nicht zum explodieren bringen, doch Alleen als Landschaftsqualität werde sich ins Bewusstsein einprägen.