Menarvis Landschaftsarchitektur Basel
Unsere Grünräume

Rappi Tag sucht das «Ideal»

|   Landschaft und Gesellschaft

Was ist ideal? Wer nimmt Einfluss auf unsere Ideale und setzt diese um? Wie übersetzen wir Ideale in unsere Projekte? Die Voraussetzungen an der diesjährigen Tagung den Antworten auf diese Fragen einen Schritt näher zu kommen, waren ideal: in idyllisch landschaftlichem Rahmen eingebettet gaben Forschende, Planende und Kunstschaffende mit ihren Gastreferaten an der HSR tiefe Einblicke.

Ideale seien kein einfaches Thema, aber sie passten zur Motivation der Landschaftsarchitektinnen und Landschafts-architekten, die sich an den Vorbildern einer lebenswerten Umwelt orientieren wollen, meinte Dominik Siegrist Leiter des ILF an der HSR in seiner Begrüssungsansprache. Florian Bischoff, Co-Präsident des BSLA hiess die geschätzten Idealisten im Saal willkommen und appellierte an sie, Ideale zu verfolgen, Ziele hochzustecken, denn Wissen sei die Ressource der Zukunft, um gehört und wahrgenommen zu werden. Mit seiner Buchempfehlung «Mehr Meer» von Ilma Rakusa schildert Patrick Blarer vom SIA wie die Autorin ein Dasein beschreibt, dem ein sicherer Ort fehlt und verdeutlicht wie wichtig (ideale) Orte, Landschaften und Geschichten für die Entstehung von Heimatgefühl sind. Gewohnt treffsicher in seinen Einschätzungen als Moderator meinte Hanspeter Spörri, wer «Ideal» als Titel einer Tagung wähle, brauche Mut, denn man wisse nicht, was damit gemeint sei. Zudem rufe es die Skeptiker auf den Plan, die wüssten, dass das Vollkommene nicht erreichbar sei.

Besser unvollkommen

Definitionsgemäss ist das Ideal nach Duden der Inbegriff der Vollkommenheit. Geht es nach dem Philosophen Paul Lorenzen ist es ein Streben nach einer Norm, der man nicht vollständig genügen kann. Und doch, die Frage stellt sich mit jedem Projekt aufs Neue: wie soll die ideale Landschaft aussehen, die wir gestalten? Nicole Uhrig, Professorin für Landschaftsarchitektur an der Hochschule Anhalt, weiss, dass die eigenen Ideale meist einfach beantwortet sind. Die Vorlieben der anderen zu finden, sei schwieriger. Sie wies darauf hin, dass Bewohner einer ariden Region Südspaniens mit dem Gestaltungselement Wasser eine völlig andere Assoziation verbinden, als Bewohner der Niederlande, die ihre wasserreiche Heimat mittels Deichbaues vor dem Versinken bewahren müssen. Jede Kultur und jedes Individuum entwickelten unterschiedliche Präferenzen. Demnach gebe es keine Objektivierbarkeit in der Landschaftsgestaltung. Die Professorin hat aber in mehrjähriger Arbeit mit internationalen Studierenden festgestellt, dass es Schnittstellen oder eine Art kleinster gemeinsamer Nenner in der Landschaftsgestaltung gibt, der über individuelle Vorlieben und kulturelle Prägungen universell Gefallen findet. Wasser, Grün, bewegtes Gelände, Aussichtspunkte und Blickachsen sowie soziale Interaktion und Ruhe waren die ermittelten Lieblingsthemen. Interessanterweise spiegelten eine Reihe dieser Vorlieben die ästhetischen Konzepte abendländischer Kulturgeschichte wider, wie bspw. das Naturschöne, das Erhabene oder das Idyllische. So würden englische Landschaftsparks, Auenlandschaften, Bergwelten oder kleinteilige Landschaften als ideal angesehen. Insbesondere fühlten sich die Menschen in Übergangsbereichen (Wald–offene Fläche, Ebene-Hügel) wohl.

Das Wissen um universelle Präferenzen und die Bemühungen die Schönheit mittels mathematischer Formeln zu erfassen, dürften die Entwerfer nicht dazu verleiten, dem Trend der globalen Angleichung der Landschaftsarchitektur zu verfallen. Vertikale Fassadengärten sähen überall gleich aus, egal ob in Paris oder Peking, beklagte Uhrig die mangelnde Vielfalt. Vielmehr seien Planende zwei verschiedenen Bildwelten verpflichtet: einerseits den alten Bildmustern von Ideal- und Kulturlandschaften, die tief verankert und historisch gewachsen in uns steckten und andererseits den neuen, mitunter auch unbequemen Bildwelten für innovative Landschaften, da sich die Werte und Bedürfnisse der Gesellschaft ständig wandelten. In diesem Sinne sei es besser, auszuprobieren, als das Perfekte zu suchen.

Ideal ist relativ

Wieso ist früher nicht mehr heute? Joëlle Zimmerli, Soziologin und Planerin bei Zimraum GmbH erklärte die Zusammenhänge zwischen sich änderndem sozialem Verhalten und der Gestaltung öffentlicher Freiräume. In einer Gesellschaft mit strengen gesellschaftlichen Konventionen und wenig Freizeit, wie wir sie noch vor wenigen Jahrzehnten kannten, waren die Ansprüche an kollektiv genutzte Freiräume gering. Erholung wurde synchron am Sonntag genossen. Freiräume durften repräsentativ und monumental gestaltet sein. Es war für eine Handvoll Gestalter die ideale Zeit, ihre Ideale umzusetzen. Durch die Auflösung gesellschaftlicher Regeln sieht heute der ideale Freiraum anders aus. Denn in der heutigen Zeit, in der Menschen kein eigenes Gärtchen mehr haben und pflegen (wollen), ständig unterwegs sind, Teilzeit arbeiten und mitreden, wollen sie als Nutzer den Freiraum selbst aneignen. Freie Aneignung bedeute möglichst wenig oder mobile Gestaltung. „Ideale Räume sind ideal, weil sie flexibel sind, heute so und morgen anders aussehen“, weiss Zimmerli. Die Josephswiese in Zürich nannte die Referentin als städtischen Raum von früher, der sich auch heute noch eignet. Die grosse, leere Rasenfläche im Herzen der Anlage und die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten mit kleinen Nischen im Randbereich machen diesen Park immer noch attraktiv. Auch beim Sechseläuteplatz wirkten kommerzielle Angebote am Rand als Entschleuniger und die weite Fläche signalisiere die Möglichkeit für Aufenthalt. Weitere ideale Nutzeranforderungen sieht die Referentin darin, wetterunabhängige, verkehrsfreie und kinderfreundliche Räume zu schaffen. Wobei sie betont, dass ein Raum nicht alle Bedürfnisse abdecken müsse, vielmehr solle sein eigenes Profil zum Ausdruck kommen. Ideale Projekte könnten nur dann entstehen, wenn die Nutzeranforderungen von Beginn an vom Besteller geklärt würden. In einer solchen Gesellschaft müsse der Gestalter sein Projekt abgeben können, die Zeit grosser Gesten sei vorbei.

Vom Ideal zur Realität

Das Ideal der Gartenstadt war eine Antwort auf die Übel der Industrialisierung und der Industriestadt des 19. Jahrhunderts. Die Idee der Gartenstadt wollte nicht nur die Stadt selbst, sondern auch ihr Umfeld in harmonischer Weise entwickeln. Richard Wolff, Vorsteher des Tief- und Entsorgungsdepartementes von Zürich, zeigte auf, wie das Konzept des fliessenden Raumes im kommunalen Richtplan der Stadt noch erkennbar ist. 1918 wollten Albert Bodmer & Konrad Hippenmeier in ihrem Siegerprojekt zum Bebauungsplanwettbewerb für ein Grosszürich nämlich, dass sich die Grünflächen der Stadt wie Blutgefässe vom See, dem Herzen der Stadt, in den arbeitenden Körper der Siedlung eindringen und diesen mit den Erholungsstationen, dem Wald, verbinden.

Die Forderung nach (Bevölkerungs-)wachstum, der damit einhergehenden Explosion der Bodenpreise und die in der Verfassung verankerte Weisung eines schonenden Umganges mit den Landressourcen führe zu einer anderen Realität. Das Ideal von Licht, Luft und Sonne aus der Reformbewegung mit den grossräumigen Gartenquartieren komme durch die neue Zonenordnung unter Druck. Das neu postulierte Ideal heisse heute «qualitätsvolle Verdichtung». Wolff präsentierte wohl ein paar geglückt verdichtete Stadträume, bemerkte aber, wie das komplexe Netz unterschiedlicher Interessen nicht immer zu einem vernünftigen Konsens führe. Der Ersatz grosser alter Bäume mit kleinen Pflanzen sei unbefriedigend. Man müsse sich in Zukunft fragen, wieviel Geld wir bereit seien für unsere Grünräume aufzuwenden, in einer völlig überbauten Stadt.

Entzauberte Landschaften verzaubern

Auf der Suche nach der idealen Landschaft bedauerte Lukas Schweingruber den abschätzigen Umgang mit der Landschaft. Stadtlandschaften seien Landschaften der Fragmente, ohne Zusammenhang und aus dem Zusammenhang gerissen. Sie hätten die Fähigkeit verloren, emotionale, sinnstiftende Geschichten zu erzählen. Deshalb versuche er in seinen Projekten diese Patchwork-Landschaften wieder zum Sprechen zu bringen, sie mit Sinn und Emotionen aufzuladen, quasi zu verzaubern und ihnen die Möglichkeit zurückzugeben, uns wieder zu berühren. Die «Wohnzimmer-Strategie» führe dabei zu guten Ergebnissen, denn Wohnzimmer hätten eine grosse Kraft, Geschichten zu erzählen. Er präsentierte das mit übergrosser Stehlampe und Sessel gestaltete «Wohnzimmer unter dem Zwicky-Viadukt» in Dübendorf. Schweingruber ist der Auffassung, dass durch die Überlagerung dreier Ebenen der Cocktail für ideale Landschaften liege. Dazu zählt er die physische Ebene (bspw. eine Hügellandschaft), die gesellschaftliche (Strassen, Grenzen, etc.) und die persönliche Ebene (eigene Erlebnisse).

Schönheit und Wahnsinn

"Was treibt uns dazu, Schönheit zu bewundern und sie gleichzeitig zu zerstören?" fragte Viola Thiel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ILF. Gemeinsam mit Belen Montoliù, Künstlerin und Festivalkuratorin präsentierte sie das Publikumsmagnet der Festspiele Zürich 2018. Die Kunst- und Landschaftsarchitektonische Installation «Future Forest», ein Kooperationsprojekt zwischen der HSR und der Festspiele Zürich, thematisierte die Mensch-Natur-Beziehung und die damit einhergehende globale Bedrohung des ökologischen Gleichgewichts. Das in grell leuchtendes Pink getauchte Kunstobjekt rief ins Bewusstsein, dass Natur nicht mehr nur als Natur, sondern vermehrt als Konsumobjekt betrachtet wird. Vor dem Hintergrund des übermässigen Wachstums städtischer Räume im Verhältnis zu den Naturräumen, zeigte «Future Forest» die Notwendigkeit auf, künstliche «Paradiese» zu schaffen.