Menarvis Landschaftsarchitektur Basel
Unsere Grünräume

Atmosphärischer Rappi-Tag 2015

|   Garten- und Landschaftsarchitektur

«Atmosphäre, Sinnlichkeit, Raum» war die Thematik am diesjährigen Rapperswiler Tag Anfang März an der HSR. Er wollte Mittel und Möglichkeiten aufzeigen, wie lebendige Räume durch landschaftsarchitektonische Gestaltung geschaffen werden können.

Im urbanen Alltag begegnet man zu vielen Räumen, welche bloss den funktionalen Ansprüchen der Auftraggeber und Nutzer gerecht werden müssen. Sie sind oft kühl, abweisend, leblos. Doch von einer guten Atmosphäre hängt ab, ob der Mensch sich gern an einem Ort aufhält. Dominik Siegrist, Leiter des Instituts für Freiraum und Landschaft (ILF) eröffnete die gut besuchte Fachtagung mit der Frage inwiefern denn Pflanzen, Materialien, Jahreszeiten, aber auch Geräusche, Gerüche und Bewegungen unsere Wahrnehmung beeinflussen würden. Er lud die Besucher auf eine intellektuelle Reise ein, verborgene Atmosphären aufzuspüren und herauszufinden, wie sie zustande kommen und wovon sie abhängen. Den Besuchern erwartete ein facettenreicher Exkurs in die Welt der Sinne auch dank den Call for Papers (Aufruf nach Kurzreferaten) – einem Novum am diesjährigen Rappi-Tag.

Neue Empfindsamkeit in der Landschaftsarchitektur

„Wie so vieles, was uns geprägt hat, stammt auch der Begriff Atmosphäre aus der Antike“, begann Michael Jacob, Professor für Geschichte und Theorie der Landschaft seinen geschichtlichen Abriss. In seinem Referat brachte er dem Publikum die verschiedenen Vertreter näher, welche die Diskussion über Atmosphäre, Raum und Sinnlichkeit massgeblich beeinflusst haben. Aristoteles behandelte in seinen Schriften den Raum nicht im modernen Sinn, wie wir ihn heute kennen, führte Jacob aus. Erst im 15. Jhd. begann sich die Situation radikal zu ändern. Filippo Brunelleschi begründete um 1410 mit seinem öffentlichen Spiegelexperiment die mathematisch konstruierbare Perspektive. Als beauftragter Architekt für die Domkuppel in Florenz wird er als erster Held der Moderne gefeiert. Der Mensch der Renaissance kann nun mit Raum umgehen. Raum wird messbar, planbar. Mathematik, Geometrie und das rationale Planen finden Eingang in unserer gebauten Welt. „Heute leben wir in Containern, ohne Atmosphäre. Wir stellen uns zu wenig die Frage, wie wir als Mensch Raum erleben und uns darin fühlen“, wiederholte Jacob mehrmals.

Im 20. Jhd. üben viele Kunstschaffende eine radikale Kritik an der Moderne. Jacques Tati beklagt in seinem Film „Playtime“ die Abwesenheit von Atmosphäre in einem futuristischen Paris aus Stahl und Glas. Walter Benjamin definiert die „Aura“ als Phänomen der Natur und Kunst, welche durch die Einmaligkeit erreicht wird. Mit der technischen Reproduzierbarkeit verfalle diese atmosphärische Wirkung. Friedrich Nietzsche kreiert den Leibbegriff und zeigt in seinen Abhandlungen, dass der Mensch nicht nur ein rationales sondern auch ein seelisches Wesen ist. „Können wir ausgehend, vom Leibbegriff Nietzsches, anders planen?“ fragt der Referent und schloss mit den Worten, dass gegenwärtig Architektur viel mit Landschaftsarchitektur zu tun hätte. Wenn Landschaft zum Gebäude hinzugefügt werde, ergänze sich das Rationale mit dem Seelischen. Doch leider verlören viele Projekte ihre wohltuende Atmosphäre durch die totale Ästhetisierung (overdesign).

Sinnlinche Wahrnehmung im Stadtraum

„An Artist’s View Of The Urban“ von Larissa Fassler, Künstlerin aus Berlin und „Ein städtebautheoretischer Blick“ von Anne Brandl, Stadt- und Regionalplanerin aus Zürich waren Vorträge, die zwei verschiedene Herangehensweisen beschrieben, den urbanen Raum zu verstehen. Larissa Fassler hat ihr eigenes subjektives System entwickelt, um die Beziehung zwischen Mensch und Raum zu lesen. Sie zeichnet Bewegungen auf, fotografiert Beleuchtungen, Strassenschilder und Plakatwände, speichert auf was passiert, wo jemand weint, wann der Brunnen abgestellt wird, oder wie die Polizei jemanden büsst und erhält so ihr Raumbild. Eine faszinierende Methode einer Ortsanalyse, für welche sich in der Praxis oft zu wenig Zeit genommen werde, wie Hansjörg Gadient später anmerken wird.

Anne Brandl blieb theoretischer. Sie wies darauf hin, dass der Atmosphären-Begriff in den letzten Jahren dank zahlreicher Publikationen, zum Shooting-Star avancieren konnte. Sogar Immobilienwirtschaft und Stadtmarketing haben das emotionale Erlebnis als zentrale Ware des postindustriellen Zeitalters erkannt. „Städtebau versteht sich immer noch als visuelle Gestaltungsdisziplin“, referierte Brandl, aber fügte hinzu, dass heute vermehrt danach gefragt werde, wie man einen Platz erlebe und weniger, was ein Platz sei. An dieser Stelle zitierte sie Gernot Böhmes Theorie  „die Ästhetik der Atmosphären“, wonach nicht das was man sieht, sondern das was man empfindet, wichtig ist. Ziel sei es, Elemente so zu mischen, dass unsere Gefühle dadurch angesprochen würden. Nicht die Raumkunst, sondern die Beziehungskunst stehe im Vordergrund. Diesen Zusammenhang hätten Grosskonzerne mit dem Bau von Campus-Räumen erkannt: Menschen sollen sich erleben können.

„Romeo und Julia“ oder der Landschaftsarchitekt als Regisseur

Bei der Beurteilung der Qualität eines Entwurfes gibt es konkrete Messgrössen wie Funktionalität oder Proportionen. Es gibt aber auch weniger leicht zu fassende Kriterien wie die Atmosphäre. Sie kann viel zur Anziehungskraft und Identität eines Ortes beitragen. Der Film arbeitet stark mit Atmosphären und Stimmungen, um eine Handlung zu unterstützen.

Die „Regie“ um Hansjörg Gadient, Professor für Freiraumentwurf an der HSR, erwartete von seinen Studierenden in einer Entwurfsübung Aussenraumgestaltungen mit starken Stimmungen, an denen die entsprechenden Szenen gedreht werden können. Vier beeindruckende Vorschläge wurden am Rappi-Tag präsentiert. Zwei davon sollen nachfolgend vorgestellt werden:

Der Fechtkampf zwischen Romeo und Tybalt inszenierte ein Student in einer Eishöhle. Das Eis und das kalte Blau der Dämmerung standen für den Hass der verfeindeten Familien. Höhle und Eiszapfen unterstützen die Aggressivität des Kampfes.

Die Todesszene von Romeo und Julia wollte die nächste Referentin in der Studentengruppe nicht wie erwartet in dramatischer Umgebung sehen. Stattdessen gestaltete sie eine Aussenraumkulisse, bestehend aus blühenden Obstbäumen in einer Blumenwiese. Die in strahlender Morgensonne eingetauchte Landschaft symbolisierte den Neuanfang und die Liebe und das Leben nach dem Tod. Die Präsentation war ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Menschen ihre Wahrnehmung kultivieren können.

Five Practicle Things We Know About Atmosphere

„Der Erlebnisaspekt der Landschaftsarchitektur spielt eine zentrale Rolle in unserem Beruf, wird aber selten diskutiert“,meint Robin Winogrond. Die Landschaftsarchitektin und Mitinhaberin des Studios Vulkan in Zürich erklärte in einer fünf Punkte Matrix ihre Rezepte, um Atmosphäre zu verstehen und greifbar zu machen. Erstens: Der rationale Ansatz nach Raumbildung und der Wunsch nach Ordnung und Klarheit wurde zu lange überbewertet. Das Irrationale und Subjektive findet wieder ein Echo. Zweitens: Der gestaltete Boden auf dem Du Dich bewegst, bewegt Dich. Er trägt, leitet, verlangsamt oder verleitet. Drittens: Das eigentliche Ziel der Entwurfsarbeit ist nicht nur die Gestalt an sich, sondern die modulierte Raumempfindung. Viertens: Der in der Schweiz zu gestaltende Raum ist fast immer klein. Um das geistige Erlebnis von Grosszügigkeit und Offenheit zu ermöglichen, müssen mit Aussichten andere Landschaften „geborgt“ werden. Fünftens: Ein Platz ist nicht da, um ihn anzustarren. Die (Gestaltungs-)Elemente sind so zu platzieren, dass er als soziales Ereignis empfunden wird. Das Atmosphärische ist dazwischen.

Identität durch Atmosphäre

Am MFO-Park in Zürich-Oerlikon sind einige der von Winogrond beschriebenen Punkte wiedererkennbar. Sibylle Aubort Raderschall von raderschallpartner ag erklärte, wie das Projekt über viele Sinneserfahrungen Erinnerungen wachrufen und so Identität erschaffen werden sollte. Das mit Kletterpflanzen überwachsene „Gebäude“ aus Stahl lässt Licht, Wasser und Luft durch. Nach dem Regen regnet es weiter. Tiefe Splittbeläge verlangsamen den Schritt. Vogelgezwitscher, Farben und Düfte untermalen die einmalige Stimmung. Die Dichte der inneren Welt im Pflanzengebäude kontrastiert mit der Offenheit und Weitsicht auf dem Dachgeschoss. „Sehen, riechen, tasten, hören, gebremst werden, all das gehört zur Atmosphäre“, schloss Raderschall ihr Referat.