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Forum Gewässerrevitalisierung

|   Landschaft und Gesellschaft

Die «Plattform Revitalisierung» koordiniert, unterstützt und vernetzt Fachleute und Interessensvertreter von Behörden, Forschung und Privatwirtschaft zur Revitalisierung Schweizer Gewässer als Schlüsselelemente intakter Landschaften. An der diesjährigen Tagung wurden neben konkreten Revitalisierungsprojekten auch Fragen zum gesetzlichen Vollzug und zur Weiterbildung behandelt.

Aus allen Regionen der Schweiz und aus vielfältigen Berufssparten strömten die BesucherInnen zur Veranstaltung in den Campus der FHNW in Muttenz. Franziska Stadelmann freute sich darüber, einen breiten Teilnehmerkreis aus Ingenieur- und Ökobüros, Gemeinden, Kantonen und Bundesämtern und aus der Landwirtschaft in ihrer Stadt willkommen zu heissen. Die Gemeindepräsidentin erinnerte an die Wichtigkeit revitalisierter Fliessgewässer für die Naherholung wie auch für die Sicherheit. Bei ihren geschichtlichen Ausführungen verwies sie auf die schweren Überschwemmungen 2016 in Muttenz durch das Anschwellen des Dorfbaches und auf die geplante Revitalisierung der Birs im Schänzli-Areal.

Ausgangslage

Seit 2011 verpflichtet das revidierte Gewässerschutzgesetzt (GSchG) die Kantone, verbaute und eingedolte Gewässer zu revitalisieren. Die Projekte unterliegen einer Umsetzungs- und Wirkungskontrolle. Gregor Thomas vom BAFU erklärte, dass der Bund diese, je nach Anforderungskriterien, mit 35-80% fördere. Das Bundesbudget liege bei 40 Mio pro Jahr. Ein Viertel der 16‘000 km beeinträchtigter Gewässer müssten in 80 Jahren revitalisiert sein. Das entsprechen Investitionen von 5.5 Mrd. für 4‘000 km bis 2090.

Heute, 8 Jahre nach der Revision des GSchG, stünden wir noch am Anfang, meinte Thomas. Seit 2011 seien 150 km mit einer durchschnittlichen Projektlänge von 370 m revitalisiert worden – die Umsetzungszahlen stiegen jedoch jährlich an. Ein Kantonsvertreter aus dem Publikum beklagte sich, er hätte nicht mal die Hälfte seines Solls von 50 km erfüllt. Er möchte die Projekte beschleunigen, doch die Partizipationsprozesse nähmen viel Zeit in Anspruch.

Gesetzlicher Vollzug und das Partizipationsparadox

Der Raum in der Schweiz wird bereits stark genutzt. Wasserbauprojekte sind raumwirksame und raumintensive Tätigkeiten. Darum sind bei Revitalisierungen viele Menschen einschneidend, oft durch Enteignungen davon betroffen. Markus Hostmann vom BAFU zeigte auf, dass deshalb die öffentlichen Interessen des Staates gegenüber den Einschnitten in private Interessen und Grundrechte genau beurteilt werden und die Massnahmen verhältnismässig sein müssten. Er verwies auf Artikel 3 der Raumplanungsverordnung und Artikel 5 der Bundesverfassung. Die Partizipation bilde darum die wichtigste Grundlage, um die Bedürfnisse der involvierten Parteien zu ermitteln. Sie müsse dann stattfinden, wenn noch genügend Handlungsspielraum bestehe, d.h. wenn der Detaillierungsgrad der Planung noch gering sei. Die Zunahme des Detaillierungsgrades in der Planung bei gleichzeitiger Abnahme des Handlungs-spielraumes für Beteiligte wird als «Partizipationsparadox» definiert. Das aktualisierte Handbuch zum Partizipations-prozess liegt bald auf der Homepage des BAFU zum Download auf.

Revitalisierte Gewässer – ein Mehrwert für Schweizer Tourismus

Er sei nicht Fachmann, nur Touristiker, meinte Heinz Keller von Schweiz Tourismus in seinem Keynote Referat. Als solcher wisse er aber genau, dass Bilder von naturnahen Gewässern überdurchschnittliche Resonanz erhielten. Wildes Wasser stünde auf Platz fünf der touristischen Stärken der Schweiz. Bei der Anziehungskraft von Bildern auf Menschen schafften es Wasserlandschaften auf Platz vier und Wanderungen am Wasser seien gar Grund Nummer eins, eine Reise dorthin anzutreten. Intakte Landschaften mit natürlichen Gewässern könnten bei Medien sehr gut platziert werden; viel besser als Skipisten. Für  Keller sei deshalb klar, dass revitalisierte Gewässer als «Produkt» ebenso professionell auf allen Ebenen - inklusiv soziale Medien - bewirtschaftet werden müssten wie bspw. das Produkt Thermalbad. Natur liege im Trend, die Welle müsse genutzt werden. „Let it flow!“ befeuerte der Referent sein Publikum.

Schattenseiten aus Sicht der Landwirtschaft

Am Beispiel einer Bachöffnung zeigte Ruedi Streit auf, welche negativen Folgen ein Landwirt durch den Wegfall einer 19 Aren grossen Fruchtfolgefläche zu tragen hat. Etwas geharnischt erklärte der Agriexperte vom Schweizerischen Bauernverband, der betroffene Bauer wolle die neue Bachuferfläche mit 15 Aren nicht und noch weniger die entstandene Restfläche von 4 Aren. Die, durch die Offenlegung des eingedolten Baches entstandene Naturlandschaft übe eine solche Anziehungskraft aus, dass es immer öfter zu Behinderungen mit Erholungssuchenden komme. Ungeachtet einst riesiger Landgewinne durch grossflächige Trockenlegungen berechnete Streit in einer minutiösen Kalkulation einen Wert von 69.20 CHF/m2 für Mehraufwand und Ertragsverlust. Dieser stehe in keinem Verhältnis zum Verkehrswert von 9.00 CHF/m2 für die Entschädigung. Er erwarte deshalb für die Landwirtschaft eine vollständige Kompensation des wegfallenden Kulturlandes (Art. 104a BV), die Berücksichtigung landwirtschaftlicher Interessen (Art. 38a GSchG), die volle Entschädigung von Ertragsausfall und Mehraufwand (Art. 26 BV) und eine sachgerechte Umsetzung.

Flusspark Saleggi-Boschetti

Der Ticino sei heute wie eine Autobahn ohne ruhige Zonen für Fische und Fischer, meinte Jacques Bottani, Präsident des Fischerei Vereines Bellinzona. In der Tat wurde der grösste Tessiner Fluss in der Magadino-Ebene in ein 60 Meter breites Korsett gezwängt, was der Landwirtschaft viel fruchtbares Kulturland und der wachsenden Bevölkerung Raum für Wohnbauten und Infrastruktur bescherte.

Gemäss den Ausführungen von Edgardo Malé vom Konsortium CCFT werden um Bellinzona herum mit dem Projekt «Parco fluviale Saleggi-Boschetti» Eingriffe geplant, um den Fluss nah- und erlebbarer zu gestalten. Die Revitalisierungen sind in urbane, preurbane und natürliche Zonen gegliedert. Mit Flussbädern, Seitenarmen, Kiesbänken, Auenwäldern u. ä. wird auf verschiedenen Ebenen versucht, sowohl für Flora wie für Fauna eine möglichst attraktive Flusslandschaft wiederherzustellen. Unter www. ilmiofiume.ch werden die Interventionen geografisch lokalisiert und mit Visualisierungen veranschaulicht.

Berufsbild Revitalisierer

Martin Tschannen, langjähriger Projektleiter auf der Abteilung Landschaft und Gewässer des Kantons Aargau, brachte es auf den Punkt: Ein Revitalisierer müsse so viele Eigenschaften in sich vereinen, dass wohl nur die Gentechnik ihn erschaffen könne. Der perfekte Revitalisierer müsse Landbeschaffer sein und dabei mit Erbengemeinschaften und der KESP Verhandlungen führen können. Er ist aber auch Verfahrensjurist und Raumplaner, der sich mit Ausnahmebewilligungen, Richtplananpassungen und Interessen-abwägungen auskennt. Als Spritzmittelspezialist wisse er mit welchem Abstand zum Fliessgewässer der Bauer sein Pflanzenschutzmittel ausbringen darf. Es genüge nicht, auf dem Papier Spitzenresultate zu liefern; der Revitalisierer verstehe es, seine Arbeit als Verkäufer und Lobbyist an den Mann zu bringen. Ebenso sind Eigenschaften als Netzwerker unabdingbar. Letztendlich ist der Revitalisierer Ingenieurbiologe und Wasserbauer mit standfestem, ausdauerndem Charakter und von geduldigem, frusttolerantem Wesen mit viel Erfahrung. Alle diese Anforderungen gelte es, in eine Ausbildung zu packen, resümierte Tschannen mit trockenem Humor!

Diego Tonolla von der ZHAW sah es etwas pragmatischer. Es sei unbestritten, wer sich an Renaturierungen wage, brauche ein hohes Mass an kombiniertem Wissen und Kompetenzen. Sie hätten aber nicht den Anspruch, Spezialisten in einem oder dem anderen Fachbereich auszubilden. Sie konzentrieren sich in ihren CAS auf Wasserbau, Ökologie und Raumplanung, wobei sie Wert legen, auch Kenntnisse der verschiedenen Akteure und ihrer Ansichten sowie Projektstrategien und Renaturierungs-massnahmen zu vermitteln. Fragen zur Ausbildung beantworten Diego Tonolla und Michael Düring unter 058 934 52 41.