Menarvis Landschaftsarchitektur Basel
Unsere Grünräume

Extraordinaire – der Rappitag auf Spurensuche…

|   Garten- und Landschaftsarchitektur

Wie entsteht gelungene Landschaftsarchitektur? Am Rapperswiler Tag 2018 zeigten die Voten der Referenten, dass es hierfür nicht nur eines guten Entwurfes bedarf, sondern weiterer Tugenden wie Beharrlichkeit, Weitsicht und Mut. Gesellt sich das Glück hinzu, liegt das Tool an schlagkräftigen Werkzeugen weitgehend parat.

Für das Extraordinaire brauche es nicht unbedingt die grosse Geste, wie den Tagungsunterlagen zu entnehmen ist. Ein gutes Team mit einer dynamischen Zusammenarbeit könnten neue Wege im Projekt ermöglichen oder ein Park werde zur zukunftsfähigen Begegnungsstätte, weil sich alle Beteiligten sowohl der sozialen wie auch der gestalterischen Verantwortung stellten.

In seiner Begrüssungsansprache freute sich Dominik Siegrist, Professor an der HSR, über die vielen Teilnehmenden. Vor rund 300 Besucherinnen und Besuchern bezeichnete er den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Partner als Voraussetzung für gelungene Landschaftsarchitektur. Patrick Blarer, Vertreter des SIA, wünschte sich als Architekt einen Schulterschluss mit den Landschaftsarchitekten und meinte, ein grösseres Engagement beider Berufsdisziplinen in der Politik würde noch mehr Brückenschläge bewirken.

Hanspeter Spörri, freier Journalist, verdiente sich als Moderator der Tagung mit seinen pointierten Resümees Anerkennung. Treffend beschrieb er als Nicht-Branchenkenner wie die Landschaftsarchitektur vom Randthema ins Rampenlicht gefunden habe und nun mithelfe Städte wohnlicher zu machen. Dies sei, gemessen an den immer konservativer werdenden politischen Rahmenbedingungen an sich schon eine extraordinaire Aufgabe.

Autostadt Stuttgart ohne Parkplätze? – ein Experiment im Reallabor

«Das Tempo urbaner Entwicklung überflügelt die gedankliche Entstehung von Stadtvisionen um ein Vielfaches», weiss Antje Stokeman, Professorin für Architektur und Landschaft an der HafenCity Universität Hamburg. Betroffen von der rasenden Entwicklung chinesischer Städte auf welche die Landschaftsarchitektur bloss mit defensiven Mitteln reagieren kann, versucht die Referentin in ihrer heutigen Tätigkeit, Möglichkeiten zu finden, wie starre Rahmenbedingungen und mangelnde Veränderungsbereitschaft in Verwaltung und Politik durchbrochen werden könnten. Zudem seien viele Menschen derart an schlechte Aussenräume gewohnt, dass sie selbst nicht mehr auf die Idee kämen, wie man es besser machen könnte. An dieser Stelle müsse sich die Landschaftsarchitektur ihrer wesentlichen gestalterischen Verantwortung für das Wechselspiel zwischen der bebauten und der natürlichen Umwelt bewusst werden. Da die Einflussnahme der Landschaftsarchitekten limitiert sei, genüge es nicht, sich auf den Dienstleistungsauftrag im Büro zu konzentrieren. «Wir müssen zum Inspirator und Motivator werden, um zu einem frühen Zeitpunkt Prozesse mitgestalten zu können. Dafür müssen wir raus gehen und Realexperimente entwickeln», meint Stokeman. Am Praxisbeispiel des Stuttgarter Reallabors für nachhaltige Mobilitätskultur zeigte sie auf, wie vermeintliche Utopien in der Realität getestet wurden. Mit der Erweiterung des städtischen Raumes als kollaboratives Experimentierfeld gelang es, Impulse für gesamtgesellschaftliche Debatten und Veränderungen im grösseren Massstab zu setzen: beispielsweise Stuttgart ohne zugeparkte Plätze.

Das Paradies liegt im Hier

Philosophisch und gedanklich brillant wusste Stefan Rotzler, Landschaftsarchitekt BSLA, den Standort unseres Berufsstandes zwischen digitalem Rausch und neuem Naturbild zu bestimmen. Mitten in der Demokratie wachse eine «smarte Diktatur» heran. Ohne Uniformen nur mit einzelnen Klicks konsumfreudiger Bürger geschehe die Überwachung und Machtübernahme. Die harmlosen Geräte und niedlichen Icons bereiteten zwar Freude, lösten aber auch unspezifische Ängste aus. «Diese sind ein gefährliches Mittel zur Ausübung von Herrschaft, denn je ängstlicher wir sind, desto besser sind wir manipulierbar», zeigte sich Rotzler überzeugt. Für die Landschaftsarchitektur eröffneten sich durch die Digitalisierung viele beunruhigende Fragen, die unser Wertesystem erschütterten. Betrachte man nämlich die vielen «Handypeople» sei die Frage erlaubt, ob realer Raum (Topos) noch eine Rolle spiele, wenn sich unser Leben und Wirken zunehmend in den digitalen Raum (Utopia) verschiebe. Wie verändere sich der Raum, wenn der Mensch zwar physisch an- aber psychisch abwesend ist? Und wie verändert sich unsere Vorstellung des öffentlichen Raumes, wenn über «soziale» Medien Privatestes vehement in die Öffentlichkeit drängt?

Rotzler lieferte 5 thematische Stränge mit denen die Landschaftsarchitektur einen Beitrag zur Vermenschlichung der Welt leisten könne. Erstens müsse sie demokratisch, d. h. partizipativ sein, denn das Einbinden aller Beteiligten verhindere egoistische Projekte und schaffe Vertrauen. Zweitens müsse unser Berufsstand im urbanen Raum physische Nähe zur Natur schaffen, statt abstrakte Distanz. Vorwärts zu einer neuen Natur soll die Devise heissen. Drittens brauche es Sorgfalt und Pflege zu den Dingen die uns umgeben. Viertens sind Innovation und radikale Erneuerung gefragt. Landschaftsarchitekten könnten essentielle Beiträge leisten zu drängenden Fragen wie dem Klimawandel oder dem Hochwasser. Letztendlich ruft Rotzler zum Handeln auf. Prozesse müssten angestossen, Zusammenarbeiten gesucht und Beteiligungen erprobt werden, für eine zukunftsfähige, neue Landschaft.

Stadtlandschaften als grüne Intelligenz

Die Bodenseeregion sei für ihn Inspiration und Modell zugleich, schwärmte Dieter Grau, Landschaftsarchitekt und Geschäftsführender Partner bei Ramboll Studio Dreiseitl. Sie sei Modell deshalb, weil es in sich viele Themen wie Hochwasser- und Naturschutz, Trinkwasser als Ressource, hohe Bevölkerungsdichte und Erholungsraum, etc. in sich vereine. «Wie kann man das System Bodensee in die Stadt bringen?» fragte Grau. Da die extreme Urbanisierung unsere direkte Umwelt signifikant verändere, müssten wir uns überlegen, wie wir in der Stadt Erholung finden und abschweifen könnten. Um die verloren gegangene Balance wieder zu justieren, empfahl der Referent städtische Biotope welche Naturerfahrungen ermöglichten und wies auf den Bishan-Ang Mo Kio Park in Singapur hin. Wo einst ein Betonkanal die Stadt von der Natur trennte, ist heute eine Flussaue verbindendes Element mit ökologischer Vielfalt. Den Tanner Spring Park in Oregon USA nannte Grau als gutes Beispiel für einen multifunktionalen Ort, der Erlebnisvielfalt bietet. Eine weitere Möglichkeit für das städtische «Rebalancing» seien die sozialen Räume. Wenn bspw. das Regenwasser im Quartier thematisiert werde, schaffe das Identität und Gemeinschaftsgefühl. «Intelligente Investoren arbeiten mit dem Thema Grünraum. Das ist unser Thema, das wir besser einsetzen müssen, um erfolgreich zu sein», meinte Grau. Hansjörg Spörri fügte moderierend hinzu, die Investoren sollten eigentlich am Rappi Tag auch dabei sein.

Das Unerwartete gestalten

«Provisorien sind ein gutes Mittel, um Dinge auszuprobieren», gab Bertel Bruun dem Publikum mit auf den Weg. Der Landschaftsarchitekt und Mitinhaber von Bruun & Möllers Landschaftsarchitektur gab Einblicke in die Strassenraumgestaltung und meinte, dass viele davon die Trennung statt die Begegnung förderten. Die idealisierte Welt der Verkehrsplanung basiere denn auch auf einem System von Vorschriften und technischen Parametern, die nicht selten dazu führten, dass der vorhandene Raum grundlegend neu erfunden werden müsse. Die Landschaftsarchitektur arbeite anders. Sie suche zuallererst Lösungen für den Raum und die Menschen, die sich darin aufhalten. Erst in einem zweiten Schritt werden Regelwerke angewandt. Um sich als Landschaftsarchitekt bei anderen Planern besser durchzusetzen, sei es unabdingbar deren Werkzeuge zu kennen, denn nur wenn man ein Regelwerk durchbreche entstehe wirklich Neues.

Für Jan Stadelmann und Daia Stutz, Inhaber von S2L Landschaftsarchitekten, stehe bei ihren Arbeiten nie das Aussergewöhnliche im Zentrum, sondern das Angemessene, Selbstverständliche und Spezifische. Das Extraordinaire liege nicht im schönen Bild, denn den Idealzustand gestalten zu wollen, bleibe eine Illusion. Sie sehen sich nicht als Autoren von Freiräumen, sondern versuchen, das komplexe System eines Ortes zu entziffern und weiterzudenken.

Querdenken ist bei Gerhard Zemp Kult. Der Mitbegründer von aplantis, einem Architekturbüro für Gebäudebegrünung, will die unterschiedlichen Disziplinen Hortikultur, Landschaftsarchitektur und Architektur neu vermengen. Ein Gebäude sieht er denn auch als Gebirge und plädierte für grünere Innenräume, um dem Klimawandel im Gebäude mit immer weniger frischer Luft entgegenzuwirken und um eine bessere Arbeitsatmosphäre zu schaffen.

Mondgärten, Grotten und schlafende Schönheiten

Für einen farbenfrohen Abschluss der Tagung mit extraordinairen Kunstprojekten sorgte das Künstlerpaar Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger. Der «Jardin de Lune» in Sainte-Marie-aux-Mines, das «Lungenkraut» im dritten Stock des Bregenzer Kunsthauses oder die «schlafende Schönheit» in einem ausrangierten Kunststoff-Silo in Hasselbach (D) sind nur wenige ihrer aussergewöhnlichen und fragilen Projekte. Die Quellengrotte in der Siedlung Quellengarten in Rheinfelden AG gehört wohl zu ihren schweisstreibendsten Arbeiten. Eine Quelle wurde durch eine Grotte geschützt. Die Schalung, Armierung und Betonarbeiten erfolgten gänzlich ohne Plan. Durch den tiefroten Grottenkörper mit goldenem, kristallinem Innern erhält das kostbare Wasser einen Ehrenplatz – wahrlich nicht ordinaire!